Preußen: Verfassungskonflikt

Preußen: Verfassungskonflikt
Preußen: Verfassungskonflikt
 
Um Schwächen in der Heeresverfassung auszugleichen, planten der preußische König Wilhelm I. und sein Militärkabinett eine umfassende Heeresreform. Sie sah die Erweiterung der Heeresfriedensstärke sowie die Erhöhung der jährlichen Rekrutenzahl jeweils um ein Drittel vor. Das Abgeordnetenhaus, in dem die Liberalen über eine Mehrheit von fast Zweidrittel der Stimmen verfügten, forderte im Gegenzug, die dreijährige Dienstzeit in eine zweijährige zurückzuverwandeln und auf die in der Heeresreform vorgesehene Zurückdrängung der Landwehr aus dem Heer zu verzichten und vor allem das parlamentarische Budgetrecht zu verstärken. Der König empfand die Forderungen des Parlaments als Angriff auf die traditionellen Rechte der Krone und war nicht bereit nachzugeben; das Abgeordnetenhaus lehnte daher die geforderte Erhöhung des Wehretats ab.
 
Da sich eine Kompromisslösung nicht anbahnte, berief der König, der bereits zugunsten seines Sohnes abdanken wollte, auf Anraten seines Kriegsministers, Albrecht von Roon, im September 1862 den preußischen Gesandten in Paris, Otto von Bismarck, zum Ministerpräsidenten. Bismarck war entschlossen, notfalls auch ohne Zustimmung der Volksvertretung zu regieren und die Heeresreform durchzuführen. Dem Machtanspruch der Liberalen suchte er durch seine Politik zu begegnen, den inneren preußischen Konflikt mit der europäischen Politik zu verquicken. Bismarck leitete damit die später so genannte Politik der Reichseinigung »von oben« ein. Für diesen Weg wollte er wenigstens einen Teil der Liberalen gewinnen, die für die Erreichung des nationalen Zieles der Einigung Deutschlands keineswegs eine militärische Auseinandersetzung von vornherein ausschlossen.
 
In den folgenden Jahren verhärtete sich die Spannung zwischen Regierung und Opposition, aber nachdem 1864 im dänischen Krieg die Herzogtümer Schleswig und Holstein dem dänischen Zugriff entzogen worden waren und 1866 bei Königgrätz die Führungsfrage im Deutschen Bund eindeutig zugunsten Preußens entschieden wurde, brach die Opposition im Abgeordnetenhaus auseinander. Die Nationalliberalen gingen zu Bismarck über, eine ähnliche Entwicklung vollzog sich bei den Konservativen, wo nun die Freikonservativen die Politik Bismarcks unterstützten. Der Indemnitätsvorlage, mit der Bismarck die nachträgliche Billigung seines verfassungswidrigen Verhaltens vor vier Jahren beantragte, stimmte das Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit zu. Der Verfassungskonflikt war damit beendet.

Universal-Lexikon. 2012.

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